Prüfung mechatronischer Wankstabilisatoren: Digitaler Zwilling eines Prüfstands.

SENSITIVITÄTSANALYSE, AKTIVER STABILISATOR, NUMERISCHE SIMULATION, SYSTEMDYNAMIK

Ingenieure von Schaeffler und vom Fraunhofer LBF bei der Untersuchung des Prüfstands.

Den Prüfstand in den Rechner holen – das ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum digitalisierten Produktentwicklungsprozess. Die Digitalisierung erfordert nicht nur die Erstellung digitaler Zwillinge der Produkte, sondern auch der Prüfumgebungen, mit denen ihre Funktionalität und Betriebsfestigkeit abgesichert werden. Nur so lassen sich das Zusammenspiel von Prüfling und Prüfsystem, die Machbarkeitsgrenzen in der Prüfung und die erzielbaren Genauigkeiten im Vergleich zum realen Einsatz bereits vor dem eigentlichen Versuch virtuell erfassen.

Modellbildung und Parametrierung eines servohydraulischen Prüfstands

Von besonderer Bedeutung ist der digitale Zwilling des Prüfstands bei aktiven Systemen in Fahrzeugen, wie sie u. a. im Fahrwerksbereich zunehmend zum Einsatz kommen. Bei der Entwicklung des mechatronischen Wankstabilisators iARC (intelligent Active Roll Control) der Schaeffler Technologies AG & Co. KG ist die experimentelle Erprobung ein entscheidendes Element im Produktentwicklungsprozess. Dabei treten deutliche Unterschiede in den Prüfanforderungen für unterschiedliche Einsatzfälle auf. Um Prüfungen zeit- und kosteneffizienter umsetzen zu können, wurde ein numerisches Simulationsmodell des Prüfstands aufgebaut. Zusammen mit einem virtuellen Prüflingsmodell kann so bereits vor Beginn der eigentlichen Prüfungen geklärt werden, in wie weit die Prüfanforderungen auf dem Prüfstand umgesetzt werden können und welche Optimierungspotentiale bestehen. Dadurch lassen sich Prüfstandsbelegungszeiten signifikant verkürzen und experimentelle Iterationen minimieren.

Das Prüfstandmodell umfasst die nichtlineare Systemdynamik der Hydraulik, ihrer Regelung sowie der Kinematik, die an Hand eines speziell für das Projekt zugeschnittenen Prüfprogramms identifiziert und parametriert wurde. Dabei wurde im Hinblick auf die Interpretierbarkeit des Modells ein durchgängig physikalisch motivierter White-Box-Modellierungsansatz gewählt. Das erstellte Modell ist in der Lage, auch die entstehenden Regelabweichungen sowie die Leistungsgrenzen des Prüfsystems abzubilden.

Die Validierung wurde mit betriebslastähnlichen Signalen durchgeführt, welche nicht in die Modellerstellung und -parametrierung eingeflossen sind. Dabei ergaben sich in den Kolbenwegen für alle Validierungssignale Abweichungen von unter 3% sowohl in den RMS-Werten als auch in der Pseudoschädigung. Die Abweichung der Signalminima und -maxima liegt sogar in allen Fällen unter 1%.

Erzielte Genauigkeit der Kolbenwege: Vergleich der Simulationsergebnisse mit Messungen an betriebslastähnlichen Validierungssignalen.

Diese sehr hohe Ergebnisqualität ermöglicht vielfältige Anwendungen des Modells. Zwei Anwendungsfälle wurden im Projekt umgesetzt: eine Sensitivitätsanalyse und eine Machbarkeitsanalyse.

In der Sensitivitätsanalyse wurde der Einfluss verschiedener Modellparameter auf das Simulationsergebnis untersucht. Dies liefert einerseits Informationen hinsichtlich der erforderlichen Modellierungstiefe vergleichbarer Prüfstände und zeigt zum anderen Möglichkeiten zur Verringerung der Regelabweichung auf.

In der Machbarkeitsanalyse wurde an einem Beispiel untersucht, in wie weit eine Prüfanforderung auf dem Prüfstand umsetzbar ist und welche Grenzen der Systemdynamik hierbei limitierend wirken.

Durch die standardmäßige Einbindung einer virtuellen Prüfung mit Hilfe des digitalen Zwillings im Vorfeld der experimentellen Prüfung lassen sich wesentliche Effizienzsteigerungen erzielen, da Hindernisse frühzeitig erkannt und ihre Ursachen identifiziert werden können. Diese Vorgehensweise erscheint insbesondere für Automobilzulieferer von hoher Relevanz, da eine Erprobung im Fahrzeug in der Regel erst zu einem sehr späten Zeitpunkt in der Entwicklung möglich ist und der Prüfstand damit das wesentliche Werkzeug zur Absicherung darstellt.

Autor
»Für das Projekt wurden zu Projektbeginn Schnittstellen so abgestimmt, dass das Prüfstands- und Entwicklungs-Know-how von Fraunhofer LBF und das Produkt- und Systemverständnis von Schaeffler bestmöglich genutzt wurden. Durch eine enge Abstimmung konnte auch während des Projekts flexibel auf Erkenntnisse reagiert werden, so dass am Ende ein für Schaeffler ideales Ergebnis vorliegt.« Dustin Knetsch,
Leiter Verifikation & Validierung Fahrwerkaktuatoren,
Schaeffler Technologies AG & Co. KG.

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